„Haben in Ostfriesland einen Rückzugsort gesucht!“
Zum Interview im Norder Café ten Cate traf sich das Künstlerpaar, die Liedermacherin Bettina Göschl und der Bestseller-Autor Klaus-Peter Wolf, mit Holger Bloem, Chefredakteur des Ostfriesland Magazins, der ihr Schaffen in Ostfriesland seit 2004 begleitet hat und zudem seit vielen Jahren eine literarische Figur in den erfolgreichen „Ostfriesenkrimis“ ist.
Holger Bloem: Ihr seid eins der bekanntesten Künstlerpaare in Deutschland. 2003 seid ihr nach Ostfriesland gezogen. Warum?
Bettina Göschl (lacht): Eigentlich haben wir einen Rückzugsort gesucht, um uns nach den endlosen Tourneereisen irgendwo auszuruhen. Am liebsten an der Nordsee.
Klaus-Peter Wolf: Zunächst hatten wir uns überlegt, die Presse nicht zu informieren, sondern nach unserem Umzug von Köln nach Norden sozusagen anonym hier zu wohnen.
Holger Bloem: Das hat ja geklappt! (lacht)
Klaus-Peter Wolf: Ja, bis du gekommen bist …
Holger Bloem: Stimmt! Das erste Porträt von mir über euch ist im Mai 2004 im Ostfriesland Magazin erschienen!
Bettina Göschl: Ich kann mich an deinen Besuch noch gut erinnern!
Holger Bloem: Damals waren „Ostfriesenkrimis“ oder „Die Nordseedetektive“ noch kein Thema für euch ...
Klaus-Peter Wolf: Nein, ich habe zunächst in Ostfriesland zwei „Tatorte“ für die ARD geschrieben, „Abgezockt“ und „Janus“.
Bettina Göschl: Wir haben damals noch endlose Tourneen gemacht, waren 200 Nächte im Jahr in Hotels, manchmal mehr. Unsere Sehnsucht, richtig sesshaft zu werden, wurde immer größer.
Klaus-Peter Wolf: Wir haben damals schon gemeinsam Kindergeschichten geschrieben, für den Jumbo-Verlag, Bertelsmann und den Gerstenberg-Verlag.
Holger Bloem: Alles sehr renommierte Verlagshäuser!
Klaus-Peter Wolf: Leseförderung war uns ganz wichtig und deswegen waren wir so viel auf Tournee.
Holger Bloem: Und wie kam es dann zu den „Ostfriesenkrimis“?
Klaus-Peter Wolf: In mir reifte der Wunsch, ein großes Gesellschaftspanorama zu schreiben, angelegt auf viele Tausend Seiten. Ich dachte, wenn man hinterher die Bücher alle nebeneinanderlegt und liest, kann man sagen: „So haben die damals gelebt, das waren ihre Ängste, ihre Sorgen, der Wahnsinn, der sie umgeben hat. Darüber haben sie gelacht … Das war eben die Zeit.“
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Ich wollte auch ein Kaleidoskop von Menschen darstellen, was sie antreibt, was sie hindert. Ich wollte einen tiefen Einblick in die menschliche Seele geben, von den größten Ängsten der Menschen erzählen und von ihren größten Sehnsüchten.
Holger Bloem: Und daraus wurden dann die „Ostfriesenkrimis“?
Klaus-Peter Wolf: Der Kriminalroman ist für mich der große Gesellschaftsroman unserer Zeit. Hier gibt es einen tiefen Einblick in die Abgründe der menschlichen Seele, in den Riss, der durch uns alle geht.
Bettina Göschl: Selbst Dostojewskis „Schuld und Sühne“, daraus entstanden am Ende die Dramaturgien für Kriminalromane. Es ging doch immer um Spannungsliteratur, darum, das Publikum zu fesseln.
Holger Bloem: Und warum dann ausgerechnet Ostfriesland?
Klaus-Peter Wolf: Der deutsche Kriminalroman ist tief in Ostfriesland verwurzelt. Hansjörg Martin, der auch viele Jahre in Norden und auf Norderney lebte, hat 1963 den ersten veröffentlicht. Übrigens, Henri Nannen, der „Stern“-Chefredakteur und ja selbst als gebürtiger Emder ein Ostfriese, hat ihn damals in Fortsetzungen abgedruckt und damit Hansjörg Martin schlagartig berühmt gemacht.
Holger Bloem: Deine „Ostfriesenkrimis“ waren ja aber nicht von Anfang an große Erfolge?
Klaus-Peter Wolf: Wahrlich nicht. Bei meiner ersten Lesung in Leer hat die Stadt ihrem Namen alle Ehre gemacht: Es waren sieben Zuhörer gekommen …
Holger Bloem: Heute füllt ihr gemeinsam große Hallen, von Hamburg bis Luzern in der Schweiz.
Bettina Göschl: Daran haben du und das Ostfriesland Magazin einen großen Anteil! In Norden haben wir die erste wirklich erfolgreiche Veranstaltung zum ersten Buch „Ostfriesenkiller“ erlebt. Wir haben sie damals gemeinsam mit euch und der Sparkasse Aurich-Norden durchgeführt.
Klaus-Peter Wolf: In Shafies Speicher! Ich weiß noch, wie wir oben die Stühle gestellt haben. Unsere Hoffnung war, dass 70 Leute kommen. Doppelt so viele wurden es letztlich!
Bettina Göschl: Deine Mutter lebte damals noch und war ganz aufgeregt dabei.
Klaus-Peter Wolf: Ja, sie hat uns oben schon bei der Tonprobe zugehört, und plötzlich sah ich sie weinen. Bettina und ich sind zu ihr gegangen und haben sie gefragt, was denn los sei.
Bettina Göschl: Sie sagte: „Ihr habt euch so viel Mühe gegeben und jetzt kommt niemand.“
Holger Bloem: Dabei standen die Leute alle unten und wurden mit Absperrbändern aufgehalten, weil oben die Tonprobe war.
Klaus-Peter Wolf: Genau, aber das hatte meine Mutter natürlich nicht mitbekommen. Ich habe ihr dann gezeigt, wo die Gäste stehen, und sie war total begeistert und hat jedem, der reinkam, noch persönlich „Guten Tag“ gesagt. Der Verleger des Fischer-Verlages, Peter Lohmann, ein alter Freund von mir, war damals mit dabei, und Carlo Grün, der damalige Vorstandsvorsitzende der Sparkasse, hat ebenfalls eine sehr humorige einführende Rede gehalten.
Holger Bloem: Wie hoch war die erste Auflage von „Ostfriesenkiller“?
Klaus-Peter Wolf: Mein Verleger sagte damals: „Lass uns mal träumen, Junge“, – der sagte gern „Junge“ zu mir, weil er zwei Jahre älter war als ich –, „vielleicht gelingt es uns ja, 10000 Exemplare zu verkaufen.“ Das war unsere große Hoffnung.
Holger Bloem: Inzwischen ist „Ostfriesenkiller“ in der 23. Taschenbuch-Auflage!
Klaus-Peter Wolf: Ja, dazu kommen noch viele Lizenzausgaben.
Holger Bloem: Wie viele wurden letztendlich verkauft?
Klaus-Peter Wolf: Ich glaube, gut 700000 Exemplare.
Holger Bloem: Insgesamt beträgt die Auflage deiner Bücher mittlerweile mehr als 13 Millionen und die Verfilmungen werden ja auch hier in Norden gemacht!
Bettina Göschl: In den Filmen legen wir ja großen Wert darauf, die Schönheit Ostfrieslands zu zeigen. Sie steht im wunderbaren Kontrast zu den Morden.
Holger Bloem: Bettina summt die Titelmelodie „Ostfriesenblues“ aus der Feder von Ulrich Maske …
Klaus-Peter Wolf: Ja, das haben wir uns alle gewünscht. Oft eröffnen wir auch unsere literarisch-musikalischen Krimiabende mit Bettinas Summen. Die Menschen lehnen sich dann gleich zurück und kommen in das Krimi-Feeling.
Holger Bloem: Ihr spielt in den ZDF-Verfilmungen auch immer mit?
Bettina Göschl: Ja, das sind sogenannte Cameo-Auftritte. Also, man sieht uns immer mal.
Klaus-Peter Wolf: Das verdanken wir dem alten Hitchcock. Für die Fans ist es natürlich ein besonderer Spaß, viele sitzen mit Fotoapparaten vor dem Fernseher, und sobald sie uns entdeckt haben, tauchen die Bilder in den sozialen Medien auf.
Holger Bloem: Was deine Romane besonders auszeichnet, ist ja, dass real existierende Menschen, auch mit ihren richtigen Namen, darin vorkommen.
Bettina Göschl: Davon kannst du ja ein Lied singen, Holger. Rupert beschimpft dich ständig …
Holger Bloem: Naja, jetzt im neuen Buch „Rupert undercover – Ostfriesische Jagd“ werden wir ja praktisch Freunde. (lacht)
Bettina Göschl: Aber das war ein langer Weg!
Klaus-Peter Wolf: Du lagst schon beim Serienkiller im Kofferraum, und manchmal wusste ich gar nicht, ob du es überlebst …
Holger Bloem: Auch das Ostfriesland Magazin spielt immer wieder eine wichtige Rolle. Viele Touristen, die aufgrund der Kriminalromane nach Ostfriesland kommen, sehen das Magazin dann in einer Buchhandlung und sagen: „Oh, das gibt es ja wirklich?“ und nehmen es natürlich gleich mit. Aber es gibt noch mehr real existierende Personen, ich bin ja nicht der einzige …
Klaus-Peter Wolf: Da sind zum Beispiel noch unser Freund, der Maurer Peter Grendel und seine Frau Rita, die wohnen bei uns in der Straße. Dann der Konditor Jörg Tapper vom Café ten Cate und seine Frau Monika … Die heißen wie im richtigen Leben, die reden wie im richtigen Leben, die benehmen sich so, nur erleben sie bei mir natürlich Dinge, die sie in Wirklichkeit nie erlebt haben.
Bettina Göschl: Jörg und Monika haben über dem Café mal den Innenminister versteckt, weil er Angst hatte, von seinen eigenen Leuten umgebracht zu werden. Und Peter Grendel hat zwei Kinder gerettet …
Klaus-Peter Wolf: Ja, sie sind literarische Helden.
Holger Bloem: Überhaupt spielt das Café ten Cate in den Büchern immer wieder eine wichtige Rolle. Hier hat der Serienkiller Dr. Bernhard Sommerfeldt seine Frau kennengelernt, hierhin geht die Kommissarin manchmal, um Gespräche zu führen …
Bettina Göschl: Das ist auch sehr klug, weil sie glaubt, dass in der Atmosphäre des Cafés Menschen sich eher öffnen als in einer Polizeiinspektion.
Holger Bloem: Das Smutje, das Mittelhaus, die Bar Wolbergs, das Teemuseum sind in deinen Büchern außerdem wichtige Orte.
Klaus-Peter Wolf: Ja, daraus spricht unsere tiefe Liebe zu Ostfriesland. Ich weiß natürlich, dass viele Leserinnen und Leser hinterher diese Orte besuchen, und dann müssen sie auch halten, was sie versprechen. Bei mir findet ja das Genießen von Literatur mit allen Sinnen statt. Menschen buchen ihren Urlaub danach und gehen auf den Spuren von Ann Kathrin Klaasen durch Ostfriesland. Das ist auch eine hohe Verantwortung, die ich da habe. Manche Menschen werfen mir vor, Werbung zu machen. Ich nenne es Authentizität. Ich erzähle von einer überprüfbaren Wirklichkeit. Bei mir kommt keine Speise vor, die ich nicht selbst gegessen habe.
Bettina Göschl: Stimmt!
Holger Bloem: Auch eure Kinderbuchreihe „Die Nordseedetektive“ erzählt von den Schauplätzen hier. Ein Buch spielt auf Norderney, eins auf Borkum, eins auf Langeoog. Das Teemuseum und ten Cate sind hier auch wichtige Handlungsorte und auch hier tauchen wieder real existierende Personen auf. Inzwischen gibt es die Bücher sogar auf Russisch und auf Chinesisch, Türkisch und Rumänisch … Wie kam es zu den „Nordseedetektiven“?
Klaus-Peter Wolf: Viele Leserinnen haben ja Kinder oder Enkelkinder. Sie haben mir geschrieben: „Ihre Bücher machen süchtig, Herr Wolf. So etwas brauchen wir auch für Kinder. Pädagogisch wertvolle Bücher haben wir schon genug.“
Bettina und ich haben dann lange darüber nachgedacht, ob das geht. Bettina war ja viele Jahre Erzieherin.
Bettina Göschl: Detektiv- oder Kriminalgeschichten für Kinder sind immer auch ein Problem, denn die Erwachsenen sind im Weg. Viele Dinge würden ja von den Erwachsenen gelöst werden, von den Eltern oder der Polizei, sodass es schwierig ist, Kinder als Hauptfiguren in Detektivgeschichten oder in Kriminalfällen zu halten.
Klaus-Peter Wolf: Aber da haben wir dann einen Trick gefunden. „Die Nordseedetektive“ lösen halt die Fälle, weil Kinder eine ganz andere Perspektive als Erwachsene haben und ihnen Dinge auffallen, die Erwachsenen eben entgehen.
Holger Bloem: Eure Gangster gefallen mir besonders …
Bettina Göschl: Ja, Lang und Finger sind Figuren, die die Kinder sehr mögen. Es war ja wichtig, spannende Bücher zu schreiben, die nicht dazu führen, dass die Kinder nachts nicht mehr schlafen können. Deswegen sind unsere Kinder immer viel intelligenter als die Gangster.
Klaus-Peter Wolf: Wenn wir Lang und Finger erleben, dann ahnen wir, dass die Kinder diese Typen schaffen werden, weil sie ihnen geistig überlegen sind.
Holger Bloem: Gerade ist der 9. Band, „Filmreife Falle“, erschienen. Auch hier werden wieder reale Ereignisse aus Ostfriesland aufgenommen und fiktionalisiert?
Klaus-Peter Wolf: Na klar, nachdem Norden durch die Verfilmung der Ostfriesenkrimis ja praktisch zur Filmstadt wurde, in der zwei große Spielfilme pro Jahr gedreht werden, haben wir das aufgenommen. Der Kinderroman spielt also zu einer Zeit, als in Norden gedreht wird. Mit den Schauspielern und dem Filmteam kommen aber auch richtige Gangster.
Holger Bloem: Die letzten 13 Romane sind alle von Null auf Platz 1 in der Spiegel-Bestsellerliste eingestiegen und haben sich dort teilweise monatelang gehalten. Gerade ist „Rupert Undercover“ Teil 2 mit dem Untertitel „Ostfriesische Jagd“ erschienen. Gleichzeitig war „Ostfriesenzorn“ noch in den Top Ten?
Klaus-Peter Wolf: Ja, das ist unglaublich und ich stehe immer noch staunend davor.
Holger Bloem: Weißt du eigentlich, wie viele Top-Ten- und Platz-1-Platzierungen du mit den Ostfriesenkrimis bisher hattest?
Klaus-Peter Wolf: Nein!
Holger Bloem: Aber ich! Du warst mit deinen Büchern, Stand jetzt, 179 Wochen in den Top Ten und 52 Wochen lang, also praktisch ein ganzes Jahr, auf Platz 1.
Klaus-Peter Wolf: Mein Gott, da erschrickt man ja wirklich. So viel? Für mich ist es immer wieder neu!
Bettina Göschl: Er steht immer noch manchmal wie ein kleines Kind staunend davor.
Holger Bloem: Wie ist das eigentlich, wenn du dich durch Norden bewegst? Ich war ja ein paarmal Zeuge, als du bei ten Cate draußen einen Kaffee trinken wolltest und plötzlich von deinen Fans umlagert wurdest…
Klaus-Peter Wolf: Ja, meist entstehen dann spontane Signierstunden. Da geht die Schlange oft bis zur Schwanen-Apotheke.
Holger Bloem: Ja, das habe ich mehr als einmal gesehen. Ihr zwei wirkt aber nie, als sei euch das lästig.
Bettina Göschl: Wenn wir den Rückzug brauchen – so etwas gibt es natürlich auch –, dann bleiben wir halt zu Hause. Klaus-Peter genießt das Bad in der Menge aber oft. Er wird von den Fans ja wirklich geliebt.
Klaus-Peter Wolf: Sie haben Tausende Seiten von mir gelesen, der Satz, den ich am häufigsten höre, ist: „Ich habe alle Ihre Bücher gelesen und mir das nächste bereits vorbestellt.“ Da ist doch klar, dass sie eine Beziehung zu mir haben. Sie freuen sich auch, uns als Paar zu erleben.
Holger Bloem: In euren literarisch-musikalischen Krimiabenden sieht mal viele Pärchen händchenhaltend sitzen.
Bettina Göschl: Ja, ist das nicht schön? In Klaus-Peters Kriminalromanen wird ja immer auch Beziehung erzählt, es geht immer auch um Männer- und Frauenrollen, darum, wie wir leben wollen, wie wir Beziehung gestalten wollen. Die Kommissarin Ann Kathrin Klaasen ist die Chefin ihres Mannes. Nicht ganz unkompliziert für die Beziehung und auch für die beiden. Und doch auch ein Symbol für unsere Zeit, in der alte Rollenbilder ins Wanken geraten.
Holger Bloem: Bettina hat ein Lied darüber gemacht, wie sie es erlebt, wenn du deine Krimis schreibst, weil du immer ganz in die Perspektive der Figuren schlüpfst.
Klaus-Peter Wolf: Ja, ein wunderbarer Song, „Wenn mein Mann einen neuen Krimi schreibt“, heißt er. Auf Youtube kann man sich das Lied kostenlos anhören. Während unserer Auftritte trägt Bettina es oft vor, weil die Fans es so lieben und mitsingen können.
Holger Bloem: Weißt du wirklich immer, Bettina, in welcher Figur Klaus-Peter gerade ist?
Bettina Göschl: Natürlich! Wenn ich schwarzen Tee mit einem Pfefferminzblatt drin rieche, weiß ich, dass mein Mann in Ubbo Heide, dem pensionierten Chef der Kripo, ist …; dann habe ich einen weisen, gelassenen Ehemann. Wenn er aber nach Bratwurst und Pommes riecht, weiß ich, er ist ganz in Rupert und das Wort „weise“ trifft nicht wirklich zu.
Klaus-Peter Wolf: Eigentlich muss ich mich auch bei Bettina entschuldigen. Immerhin war ich jetzt lange vollständig in Rupert, um „Rupert Undercover“ schreiben zu können.
Bettina Göschl: Ja, das war nicht immer nur einfach.
Holger Bloem: Aber Rupert hat doch auch liebenswerte Seiten.
Klaus-Peter Wolf: Das musst du gerade sagen. Aber du hast schon recht, meine Romane sind Perspektivenarbeiten und ich versenke mich vollständig in die Perspektive einer Figur, um aus dieser Sicht zu berichten. Ich meine, wer bin ich denn, meinen Leserinnen und Lesern zu erzählen, wie die Welt ist? Sie kennen die Welt doch selbst. Aber ich kann sie ihnen unter Umständen aus einer anderen Perspektive erzählen, einer, die sie noch nicht kennen.
Bettina Göschl: Zum Beispiel der des Serienkillers. Wer kennt die Welt schon aus der Sicht eines Mörders?
Holger Bloem: Ja, für viele ist das neu.
Bettina Göschl: Das hoffen wir.
Holger Bloem: Der neue Roman „Rupert Undercover – Ostfriesische Jagd“, der Anfang Juni erschienen ist und gleich Platz1 der Spiegelbestsellerliste eroberte, ist ja starker Tobak. Manchmal bleibt einem das Lachen im Hals stecken, man gruselt sich auch ganz schön und deine Kernaussage finde ich erschreckend. Aber vermutlich ist sie wahr.
Klaus-Peter Wolf: Ja, Rupert ist undercover zum Chef einer großen Verbrecherorganisation geworden, um sie auffliegen zu lassen. Dadurch wird erst klar, wie tief das Gangsterwesen in die legalen Strukturen eingedrungen ist. Die Milliardengelder aus Drogenhandel, Prostitution und Waffenschmuggel müssen ja legalisiert werden. Heißt, das Geld fließt in Unternehmen ein, die zum Beispiel in Schwierigkeiten sind. Gangsterbanden und Clans übernehmen ganze Hotelketten, Mietshäuser usw. So kann es am Ende passieren, dass Studierende der Betriebswirtschaftslehre, die sich nach erfolgreichem Abschluss ihres Studiums irgendwo bewerben, gar nicht wissen, dass sie für eine Verbrecherorganisation arbeiten, wenn sie ihren Job annehmen, denn aus Gangsterbossen werden Manager und Geschäftsleute. Wenn diese Entwicklung nicht gestoppt wird, wird es bald keine Rolle mehr spielen, welche Partei wir wählen und wer an der Regierung ist, denn ein großer Teil des gesellschaftlichen Lebens wird von solchen Mächten kontrolliert.
Holger Bloem: Bist du deswegen so sehr gegen Privatisierungen?
Klaus-Peter Wolf: Ja, Privatisierungen sind immer auch Entdemokratisierungen. Früher hatte die Post noch einen Minister. Darauf hatten die Wähler durchaus noch Einfluss. Jetzt müsste man schon eine Aktienmehrheit erwerben, um da als Bürger noch mitsprechen zu können.
Bettina Göschl: Das meint Klaus-Peter, wenn er sagt, dass der Kriminalroman der große Gesellschaftsroman von heute ist. Die Bücher sind keine Fotografien einer schönen Landschaft, sie sind Röntgenbilder.
Holger Bloem: Ihr seid in Norden sehr in der Hospizarbeit engagiert. Klaus-Peter ist Schirmherr für den Förderverein für ein Hospiz am Meer.
Klaus-Peter Wolf: Das ist uns eine Herzensangelegenheit. Als wir gefragt wurden, waren wir sofort dabei.
Holger Bloem: Hat das eine Vorgeschichte?
Klaus-Peter Wolf: Ja, es gab einen Tag, der dafür entscheidend war. Ich hatte gerade einen Anruf vom Fischer-Verlag erhalten, dass mein neuer Roman wieder auf Platz 1 startet – wir wollten das feiern. Dann explodiert immer ein bisschen die Welt um einen herum, weil natürlich viele Leute anrufen, es viele Interviewanfragen gibt usw. Der nächste Anruf kam aber vom Hospiz in Jever. Dort sei, sagten sie mir, ein Fan, dessen letzter Wunsch es sei, mich noch einmal zu treffen. Er hatte sogar die Hoffnung, bis zum Erscheinen des nächsten Romans weiterzuleben, denn er wollte gerne wissen, wie es mit Ann Kathrin Klaasen weitergeht. Man hat mich gefragt, ob ich kommen würde, und glaub mir, Holger, ich hatte echt Schiss. Ich stellte mir Hospize als dunkle, traurige Orte vor, die man besser meidet. Ich habe Bettina gefragt, ob sie mich begleiten würde.
Bettina Göschl: Bei so einer Anfrage vom Hospiz hat man nicht viel Zeit. Man kann nicht sagen, wir kommen in einem halben Jahr, wie wir es sonst tun. Ich habe meine Gitarre genommen und Klaus-Peter begleitet. Wir hatten beide ein mulmiges Gefühl, aber haben dann eine wunderbare Zeit erlebt!
Klaus-Peter Wolf: Bettina hat ein paar Lieder gesungen, es kamen ehrenamtliche Mitarbeiter und natürlich auch Bewohnerinnen und Bewohner des Hospizes. Ich habe etwas vorgelesen, wir haben miteinander diskutiert und, so merkwürdig es klingt, wir haben viel Spaß zusammen gehabt und viel gelacht.
Bettina Göschl: Es blieb nicht der einzige Besuch in einem Hospiz. Von da an waren wir offen für diese Arbeit und natürlich tun wir alles dafür, dass es bald ein Hospiz am Meer gibt.
Holger Bloem: Kann man wohl sagen! Die Spendenaktionen, die ihr macht, sind außergewöhnlich! Es gibt sogar Klaus-Peters Gesicht auf einem Golfball. Der Ball wird gegen eine Spende abgegeben?
Klaus-Peter Wolf: Ja, einigen ist es viel wert, mir mal so richtig eine „reinzuhauen“, da spenden die dann auch gerne fürs Hospiz. Andere benutzen den Golfball natürlich nie als Ball, sondern legen ihn zu ihren Büchern ins Buchregal.
Holger Bloem: Welch origineller Einfall!
Klaus-Peter Wolf: Gleich am ersten Tag kamen mehr als 5000 Euro zusammen.
Bettina Göschl: Außerdem machen Fans auch ganz tolle Sachen: Andreas Hermann etwa stellt T-Shirts her, auf denen Sprüche aus den Büchern stehen, Käppis mit den Buchtiteln und Tragetaschen, sogar Mousepads und Bierdeckel …
Klaus-Peter Wolf: Das Geld geht in die Hospizarbeit. Aus dem Hospiz wurde immer mehr ein Fanprojekt, weil unsere Leserinnen und Leser angefixt sind und es toll finden. Sie identifizieren sich damit. So hat der Förderverein inzwischen auch Mitglieder in vielen anderen Bundesländern, ja, auch in der Schweiz. Die Fans wollen einfach mit dabei sein und unser Tun unterstützen.
Holger Bloem: Eine Win-Win-Situation für Ostfriesland!
Bettina Göschl: So soll es sein.
Holger Bloem: Ihr hattet in diesem Jahr auch einen literarisch-musikalischen Krimiabend zugunsten des Hospizes auf den Norder Marktplatz geplant. Der musste dann leider Corona-bedingt ausfallen …
Bettina Göschl (korrigiert): Er musste verschoben werden! Wir werden es natürlich im nächsten Jahr nachholen!
Klaus-Peter Wolf: Und ich denke, du bist dann, wie sonst immer bei den Buchpremieren in der Norder Sparkasse, wieder als Moderator dabei und stellst Fragen. Was hältst du davon?
Holger Bloem: Da bin ich natürlich gerne dabei! Ich danke euch für dieses Gespräch.
Klaus-Peter Wolf: So, jetzt will ich aber noch die Eierlikörtorte probieren und den Baumkuchen.
Bettina Göschl: Ich auch.